das ist schwer zu begreifen, ich kann es selber kaum begreifen, aber ich habe es erlebt
Transkription >>>Quellen: Sühnezeichen, Lenné,
MMZ/Fortunoff
, GHKW,
MMZ/Fortunoff
Foto Willi-Frohwein-Platz © Susanne Ahner 2021
das ist schwer zu begreifen, ich kann es selber kaum begreifen, aber ich habe es erlebt
Transkription >>>Quellen: Sühnezeichen, Lenné,
MMZ/Fortunoff
, GHKW,
MMZ/Fortunoff
Foto Willi-Frohwein-Platz © Susanne Ahner 2021
das ist schwer zu begreifen, ich kann es selber kaum begreifen, aber ich habe es erlebt
Na ja und dann kam das Jahr 38 und ich bin auf dem Weg zur Arbeit im November. Am 10. November morgens. Und ich komme da in der Breite Straße an, da ist ein Geschäft so mit Textilien, also Kurzwaren. Und da stehen so viele Leute. Und ich denke, was ist denn nun los? Hier stehen/. Die Juden mussten ja ganz groß in weißer Schrift ihrem Namen auf die Schaufensterscheibe schreiben. Und da stehen ja so viele Leute, die dürfen doch gar nicht beim Juden kaufen. Warum gehen die schon so früh hier her? Also das war mir irgendwie unheimlich. Also ich bin gerade an dem Laden angekommen, sehe die vielen Leute und da hält neben mir ein LKW mit Plane drüber. Und runter springenSA-Leute mit Steinen bewaffnet und schmeißen die Scheiben ein. Das hättest du mal sehen müssen, wa? Und da hat sich das geklärt, warum die Leute da standen? Da haben sie den Laden geplündert. Da habe ich so in meinem jugendlichen Verstand gedacht: „Siehst du, kaufen dürft ihr nicht beim Juden, aber klauen dürft ihr.“
(Zeitzeugengespräch mit Aktion Sühnezeichen im Haus der Wannseekonferenz © GHWK 2002)
Alle haben gewußt, was die Nazis vorhaben. Die Nazis haben also von Anfang an gesagt, wer ihre Hauptfeinde sind. Und dabei waren also, die Kommunisten, der Welt-Bolschewismus, aber an erster Stelle stand das Weltjudentum.
Da wollte ich nun zur Arbeit gehen, da sehe ich es in der Stadt brennen, am/ nähe Lindenufer muss es gewesen sein. Dachte ich was ist denn nun los, heute ist es aber verrückt, also ich runter, komm‘ da an, da brennt die Synagoge, die war am Lindenufer. Das ist hier dieser Turm. (zeigt ein Bild). Feuerwehr war da, aber die haben nicht einen Tropfen Wasser auf die Synagoge gemacht, bloß die anderen Häuser geschützt.
Da standen sehr viele Leute und man hatte so den Eindruck, die wärmen sich, war ja der 10. Novenber, die wärmen sich da an dem Feuer der Synagoge die Hände. Da sind meine Nerven kaputtgegangen. Da war ich fertig und hab geheult wie ein Schloßhund und konnte und konnte nicht aufhören. Und bin dann in den Betrieb gegangen.
Das ist ja was mich am meisten aufgeregt hat, und darum meine Theorie: Die Kristallnacht war für die Nazis der Probemarsch, was man mit dem deutschen Volk alles machen konnte.
(WF in: Diktaturen im Vergleich, © Peter-Joseph-Lenné-Schule Potsdam 2007)
Ja, jetzt war ja nun die Kristallnacht vorbei und ich habe erlebt, wie viele Juden aus unserer Nachbarschaft verschwanden, wo dann meistens nach 14 Tagen, das war die längste Zeit, die Mitteilung kam, dass sie an Herzversagen oder an Lungenentzündung in Oberschlesien verstorben sind. Das konnte ich immer gar nicht begreifen, dass die so schnell, nachdem sie abgeholt waren, tot waren, das konnte ich einfach nicht begreifen und wir haben darüber nicht gesprochen, bloß dass eben gesagt wurde „stell dir mal vor, der ist auch schon wieder tot“
(Interview im Archiv der Erinnerung, ©
MMZ/Fortunoff
1995)
Wenn die Leute sagen, sie haben nichts gewusst davon, dann lügen sie. Die damals gelebt haben, haben gemerkt – ich habe es ja gemerkt, ich war ein Jugendlicher – dass die Leute verschwanden. Die haben nicht gemerkt, dass ihre Nachbarn verschwunden sind. Keiner hat was gewusst. Keiner hat was gemerkt. Aber auf der Straße haben sich unterhalten. Zwei Männer. Und da hat der eine was vom KZ, habe ich bloß gehört, im Vorbeigehen, KZ erzählt. Da sagte der andere: „Mensch, halte die Schnauze. Meinst du, ich will auch in KZ?“ Also, dass die Konzentrationslager, die die Nazis damals angefangen haben, kein Sanatorium waren, das haben die Leute alle gewusst. Die Leute haben viel mehr gewusst, als sie wissen wollten, habe ich immer gesagt. Sie wollten nichts wissen. Und dann haben sie ja, nach 1945, auch bewiesen, dass sie überhaupt nichts gewusst haben. Alle waren sie dagegen. Aber keiner hat was gewusst. wa?
(Zeitzeugengespäch mit einer Gruppe des Alternativen Jugendzentrum e.V. Dessau im Haus der Wannseekonferenz, © GHKW 2007)
Das Einzige was wir trotz dem wir keine Zeitungen im Lager hatten, das Einzige was also so nach und nach durchsickerte, war nicht nur der Frontverlauf, sondern war auch die Frage, dass alle Juden, und jüdisch versippten umgebracht werden und darum war ich ja jetzt endlich in Wannsee und hab mir das Protokoll angeguckt, über die Endlösung, ich war einfach vorher zu feige da hin zu gehen, weil ich Angst hatte das könnte mich zu sehr umhauen. Nun war ick am 27. Februar da und meine Angst war gar nicht so unbegründet und das, was bis ins Lager durchgesickert war, hat gestimmt, also bloß hier eben noch viel brutaler, so richtig preußisch exakt genau, festgelegt in welcher Reihenfolge, und auf welche Art und Weise, also alle jüdisch versippten ausgerottet werden sollten, das habe ich in meinen kühnsten Träumen, nicht erwartet, wie genau exakt man arbeiten kann. Und als ich denn noch die ganzen Unterschriften sah, dass also praktisch die ganze Regierung daran beteiligt war, die Reichsbahn, der Minister für Wirtschaft und wer alles daran beteiligt war – also da war ich vollkommen schockiert.
(Interview im Archiv der Erinnerung, ©
MMZ/Fortunoff
1996)