Auf einmal stand ich ganz alleine da
Er ist der Einzige, der mir geholfen hat
Quellen:
1+2 Zeitzeugengespräch Winckelmann-Gymnasium Stendal, © Stendaler Fernsehen/Lutz Thiede 2007
Foto privat
Auf einmal stand ich ganz alleine da
Er ist der Einzige, der mir geholfen hat
Quellen:
1+2 Zeitzeugengespräch Winckelmann-Gymnasium Stendal, © Stendaler Fernsehen/Lutz Thiede 2007
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Auf einmal stand ich ganz alleine da
Ich bin dann also weiter in die eine Schule gegangen, alles prima geklappt, meine Schulkameraden ganz prima. Bis dann 1935, in der zweiten Schuljahreshälfte, der Lehrer mir einen Zettel gab und sagte, ich soll den meiner Mutter geben, die soll den ausfüllen. Und 14 Tage später komme ich in die Schule morgens – am Tag vorher, bin ich richtig weg gegangen wie immer, mit allen Klassenkameraden und Tschüss und so – den Tag komme ich wieder – Kein Aas guckt mich mehr an. Die ganze Klasse, keiner spricht mehr mit mir. Da könnt Ihr Euch ja vorstellen, jetzt hab ich mir den Kopf zerbrochen – was hab ich denen denn getan, dass keiner, der dich kenne, mehr anguckt. In der großen Pause war alles klar: Da haben meine Klassenkameraden auf dem Schulhof hinter mir her gerufen „Halb und halb ist auch einer“.
Bis dahin habe ich ja nicht gewusst, dass mein Vater Jude ist, der war ja auch katholisch getauft. Und ich war nun Mischling, ersten Grades, Halbjude, das hab ich alles garnicht gewußt. Das Verhängnisvolle war ja dann aber noch, dass der Lehrer an mir erklärt hat, ich dürfte keinen Lehrvertrag abschließen. Mich durfte keiner als Lehrling einstellen. Was machste nun? Sollst du jetzt dein ganzes Leben lang als ungelernter Hilfsarbeiter rumlaufen?
Er ist der Einzige, der mir geholfen hat
Stimmt es, dass Sie einen Betrieb haben? Ja, warum willst du denn das wissen? Hab ich ihm gesagt, dass ich was lernen will, sagt er komm mal zu mir morgen in den Betrieb. Da bin ich dann auch hin und dann haben wir uns geeinigt, wir haben einen Lehrvertrag gemacht. Er hat unterschrieben, ich hab unterschrieben. Und ich hab jetzt den Traumberuf aller Jungs erlernen wollen, nämlich Wäscher und Plätter. Wisst Ihr was das ist?
Aber ich hatte einen Beruf, das war mir so egal. Also hab ich den Vertrag unterschrieben um Wäscher und Plätter zu werden. Dann bin ich zum Arbeitsamt, der musste ja abgestempelt werden vom Arbeitsamt, die haben nicht abgestempelt. Ich bin zurück und zu ihm gesagt, Herr Kirchhoff, die stempeln den nicht ab. Er sagte, das spielt keine Rolle, du lernst trotzdem bei mir. Hat er mich da eingestellt. Ich habe dann Wäscher und Plätter gelernt. Keiner, wir waren über 20 Leute im Betrieb, aber keiner außer dem Chef hat irgend eine Vermutung gehabt, warum ich Wäscher und Plätter lerne da, hat doch kein Aas gelernt. Na ja, ich habe es gemacht und hab dort dann gelernt. Und das war, das muss ich ganz ehrlich sagen, wa, da hab ich mich am wohlsten gefühlt, denn die haben mich so behandelt, als wenn ich, als wenn alles garnicht war.
Denunziantin
Wir hatten bei uns im Haus eine Frau, die war nicht Mitglied der NSDAP, die war nicht mal in der Frauenschaft. Die war auch nicht in der Arbeitsfront, weil sie ja nicht gearbeitet hat. Diese Frau hat eine Trappe unter uns gewohnt und hat auf uns schön aufgepasst. Sie hat uns also, wenn zu uns Besuch kam, der Besuch ging wieder. Dann hat sie ihn abgefangen und hat ihn aufgeklärt, wo er war. Ob er nicht weiß, dass er beim Juden war. […] Das Einzige was sie uns an Besuch verschafft hat, war die Gestapo. Die, kann man sagen, in unregelmäßigen Abständen von acht bis 14 Tagen haben die bei uns irgend einen Vorwand gehabt eine Hausdurchsuchung zu machen. Die Frau hat es also verstanden, uns zu isolieren und immer in der Angst zu lassen, die Gestapo kommt. Wenn einer über den Hof von uns gegangen ist, der irgendwas getragen hat, was sie sich nicht erklären konnte, dann hatten wir die Gestapo im Haus. Das war natürlich ein Leben, also immer mit Zittern.
Und dann sind die Leute ja aus dem Weg gegangen, uns Kindern sogar… Entweder haben sie weg geguckt, weil sie nicht gegrüßt werden wollen. Oder sie sind sogar auf die andere Straßenseite gegangen.
Und diese Frau hatte nach der Pogromnacht auch den Wäscherei-Besitzer, der PG war, angerufen und wollte ihm klarmachen, dass er einen Juden beschäftigt, drei Mal hat sie angerufen. Die wollte der, dass der mich rausschmeißt, aber er hat es nicht getan.
Bescheinigung
Der ist der Einzigste, dem ich nach Kriegsende für die Entnazifizierung eine Bescheinigung geschrieben habe. Da habe ich auch noch Ärger bekommen deswegen. Weil der der Einzigste war, der mir geholfen hat, der mich als Mensch betrachtet hat, trotzdem. Und das habe ich, also, das waren also wirklich die schönsten Jahre oder Stunden, die ich da im Betrieb sein konnte. Kein Mensch im Betrieb wußte das, dass ich Halbjude bin. Keiner hat es gewußt, nicht mal der Waschmeister hats gewußt, keiner hats gewußt, nur er. Das habe ihn sehr hoch angerechnet, weil ich dann am liebsten im Betrieb war und dort anständig behandelt wurde.
(alle: Zeitzeugengespräch im Winckelmann-Gymnasium Stendal © Stendaler Fernsehen/Lutz Thiede 2007)